Habilitationsprojekte und Postdocs

Unter dem Arbeitstitel "Empathische Beziehungen und das Alte Testament. Eine Annäherung" fragt das laufende Habilitationsprojekt: Was lässt sich aus alttestamentlichen Texten, ihrer antiken Welt und ihrer Geschichte beitragen zum lebhaften Empathiediskurs unserer Zeit? Und wo kann dieser Diskurs wiederum fruchtbar werden für das Verständnis antiker Texte und ihrer Vorstellungen von gegenseitigem Verstehen zwischen Menschen, für das Empathiephänomene fundamental und universal wichtig sind?

Dafür werden zunächst forschungsgeschichtliche, methodische und hermeneutische Grundlagen einer Verbindung von modernem Empathiediskurs und antiker bzw. alttestamentlicher Literatur gelegt. 

Im exegetischen Hauptteil erschliessen sich zunächst überblicksartig Aspekte der Semantik von Empathiephänomenen in alttestamentlichen Texten. Überblick und Beispiele zur Semantik der Empathie geben einen ersten Aufschluss über Grundlinien von Empathiediskursen in den alttestamentlichen Texten, die hier zusammengefasst und in den folgenden Exegesen in jeweils ausgewählten Textbereichen näher untersucht und auf ihre Zusammenhänge befragt werden sollen. Mit dem Überblick über die Diskursgeschichte der Empathie und auch angesichts gängiger Alltagsverständnisse von Empathie fällt über das Studium der alttestamentlichen Texte eine interessante Schwerpunktsetzung in verschiedenen Punkten auf, die zum Teil auch mit neueren Entwicklungen in der modernen Empathieforschung korrespondieren. So ist insgesamt, entsprechend des allgemein für alttestamentliche Anthropologien wichtigen engen Zusammenhangs von Leib- und Sozialsphäre und der untergeordneten Bedeutung von Behältermetaphorik für den Körper und seine Interaktionen nach aussen, „Innerlichkeit“ und damit verbunden auch Immersionsmetaphorik für alttestamentliches Nachdenken über Empathie weniger zentral. Vielmehr steht das im Fokus von Verstehen und Verständigung, was aussen wahrgenommen werden kann: die Bewegungen, gestischen/mimischen Ausdrucksweisen, das Handeln, das Sprechen – allgemein Verkörperungsphänomene von Empathiedynamiken. Das bedeutet nicht, dass das Innere des Menschen im Gegenüber zur Aussenwelt bedeutungslos wäre. Die verschiedenen inneren Organe, das „Innere“ des Menschen sind zwar nicht der primäre Entstehungsort von Emotion und Empathie, sie sind aber ein Raum, in dem für Empathiedynamiken wichtige Prozesse stattfinden: Verarbeitung, Imagination und Ansprechbarkeit, nicht zuletzt auch durch Gott.

Ein weiterer wichtiger Punkt zeigt sich in der weitaus stärkeren Betonung von strukturellen, sozialen, kollektiven Aspekten von Empathie im Gegensatz zu einem Empathieverständnis, das stark auf das Empfinden, Erleben, Vermögen des Individuums und Prozesse in seinem Inneren fokussiert. Damit tritt neben die Interaktion von zwei bis drei Individuen als Aktionsfeld von Empathie ganz entscheidend die Bedeutung von Empathie für Prozesse von Vergemeinschaftung und Gruppenbildung, Inklusion und Exklusion, Verortung in der größeren Beziehung von Mensch, Mitmensch, Umwelt und Gott. Dazu gehört auch eine Weitung des Horizonts von einzelnen Situationen z. B. des Zusammentreffens zweier oder mehrerer Individuen, in denen sich Empathie ereignen kann, auf größere Zeiträume übergreifende Prozesse: Empathisieren mit vorherigen oder zukünftigen Generationen, aber auch Verweigerung von Empathie als Verweigerung eines historisch erweiterten Blicks und damit Abwehr von Lernprozessen, wie sie z. B. in den prophetischen Schriften verhandelt werden.

Die exemplarisch ausgewählten Texte im Hauptteil der Arbeit (sog. Thronfolgegeschichte und Ausschnitte aus Jeremia) geben Aufschluss darüber, wie Empathiedynamiken in antiken Texten aufgedeckt und ausgewertet werden können. Dabei kommen über die ausgewählten Textkomplexe verschiedene Gattungen, diachrone Entwicklungen und diverse Themenfelder in den Blick, für die der Zugang über Empathiedynamiken neue Erkenntnisse verspricht.